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Newsletter 2020 Nr. 1

 

Braunfels, 10 août 2020

 

 

 

 SOMMERBRIEF 2020

Nr. 1

 

An die Kulturfreunde

 

Gibt es sie noch? Ich meine nicht die Kulturfreunde, sondern die Kultur. In diesem sonderbaren Jahr 2020, wo das Leben weltweit völlig überraschend zum Erliegen gekommen ist? Werden wir je wieder ein normales Leben führen können, ein Leben wie vor 2020. Und wann und wie? Das, was so plötzlich über die Menschen gekommen ist, hinterlässt den Nachgeschmack des verlorenen Paradieses. Wir schimpften, lamentierten, jammerten, ächzten und nörgelten um die Wette und nun da wir es verloren haben und vor einer Welt und einer Zukunft stehen, die unsicherer denn je geworden sind, wird sich so mancher von uns nach seinem alten Leben zurücksehnen, dem unverschleierten Leben vor dem Corona Virus.

In diesen Tagen stieß ich beim Überfliegen meiner Notizen zu meinem Thema des Sommers 2019 über meinen Lieblingsschriftsteller Hervé Bazin auf diese Zeilen, die ich voriges Jahr noch völlig übersehen habe und die nun plötzlich eine gänzlich neue Dimension bekommen: In seinem allerletzten Werk, „Der neunte Tag“, schreibt Bazin, der sein schriftstellerisches Leben damit verbrachte, die Evolution der (französischen) Gesellschaft des 20. Jahrhunderts genau unter die Lupe zu nehmen, von seiner zunehmenden Sorge über die Zukunft der Welt.

Der Mensch spielt Gott und greift in die Schöpfung ein. Er tut was er kann, doch weiß er nicht unbedingt, was er tut ».

Bazin wirft dem Mensch vor, im Namen des Fortschritts mit den riskantesten Technologien zu hantieren und dabei die Ordnung der Natur und die moralischen Aspekte des Lebens zu missachten. Er beschreibt eine Menschheit, die sich eines Tages total wehrlos und unvorbereitet mit einem hochgefährlichen, weil unsichtbaren Feind, einer unkontrollierbaren und tödlichen Geißel konfrontiert finden wird: Dem Virus.

Das war 1994.

Und jetzt? Wie geht es weiter? Geht es weiter? Wird man seine Arbeit im Herbst und danach einigermaßen normal wieder aufnehmen können? Da niemand eine Antwort auf diese Fragen hat, habe ich mit unverbesserlichem Optimismus so getan, als würde alles irgendwann wieder ins Lot kommen, darauf hoffend und bauend, die Erkenntnis möge sich durchsetzen, dass die Kultur, diese Nahrung des Geistes, die man uns bei jeder politischen, finanziellen oder humanitären Katastrophe automatisch verweigert, genauso unentbehrlich für das menschliche Wohlbefinden wie die Früchte der Erde ist, wie die Luft zum Atmen.

So habe ich in dieser aufgezwungenen Corona-Pause ein neues Thema behandelt und zwar die Biografie der Chanson-Autorin, -Komponistin und -Interpretin BARBARA.

Die leidenschaftliche, ja fanatische Beziehung, die Barbara und ihr Publikum verband, verlieh der Sängerin noch zur Lebenszeit einen Kult-Status.

Das Schreiben (alle Texte sind autobiografisch) und das Singen waren Barbaras einzige Lebensberechtigung. Vor allem das Singen war dieser Frau Fluch und Segen zugleich aufgrund des Suchtpotentials, das es auslöste. Es war ihre Therapie, das Mittel für die menschenscheue, geheimnisvolle und zurückgezogen lebende Frau mit der wunden Seele zum Dialog mit ihren Mitmenschen. Das Beschäftigen mit ihr, das Einlesen in die vielen Schriften, Artikel und Bücher, welche über sie erschienen und das wiederholte Hören ihrer wunderbaren Chansons haben mich emotional sehr aufgewühlt und mir die langen Wochen der unfreiwilligen Untätigkeit in diesem langen etwas anderen Frühling 2020 sinnvoll ausgefüllt.

Am Ende dieses Rundbriefes befindet sich ein Präsentationstext über sie.

Es grüßt Sie /Euch aus der Braunfelser Zwangsverbannung

Ihre

Suzanne Bohn

Braunfels, 10. August 2020

 

 

P.S.: Alle weiteren Informationen (wie z. B die aktuellen Themen in 2021) finden Sie demnächst aktualisiert auf meiner Homepage unter www.suzannebohn.de

 

 

 

 

Zum Tod von Gisèle Halimi (1927-2020)

 

 

 

 


 

 

 

Am 28. Juli 2020 starb Gisèle Halimi, am Tag genau nach ihrem 93. Geburtstag, 3 Jahre nach ihrer gleichaltrigen Freundin Simone Veil (1927- 2017), mit der sie vor allem das Recht zur legalen Abtreibung im Jahre 1975 erkämpfte, einem Meilenstein in der Geschichte der Frauen. Die couragierte „respektlose“ Anwältin, aktive Feministin und ebenso überzeugte wie auch überzeugende Humanistin, die von sich behauptete „Ungerechtigkeit ist mir physisch unerträglich“, gehört mit Marie Cardinal und Benoîte Groult zu den Lieblingsfrauen meines Repertoires.

 

Hierzulande ist Gisèle Halimi wenig bekannt, weniger bekannt als Simone Veil. Als diese starb, wurde ich von Anfrage überhäuft, ob ich sie vorstellen könnte. Dabei habe ich Simone Veil gar nicht im Repertoire aus dem guten Grund, dass die Dokumente über ihr Leben mir unzureichend sind. Doch Halimis Wirkungsgrad und Verdienste in den großen Debatten des 20. Jahrhunderts (Legalisierung der Abtreibung, Abschaffung der Todesstrafe, der Folter, Kampf für die Verweiblichung der Berufstermini, Durchsetzen der Anerkennung der Vergewaltigung als Kapitalverbrechen u.s.w.) sind nicht geringer als die der ehemaligen Justiz-und Gesundheitsministerin.

 

Mit meinem Vortrag über sie und der Lesung aus ihrem wunderbaren schriftstellerischen Werk habe ich das Glück, einer Ausnahmefrau gerecht zu werden. Wenn ich erlebe, wie sehr ich die Menschen mit ihrer Geschichte packe, wie sie auf sie reagieren, dann muss ich sagen, dass es mich beglückt, sie in Deutschland ein bisschen bekannter zu machen.

 

Ich hoffe sehr, dass ich noch häufig, diese Gelegenheit bekommen werde.

 

 

 

 

 

BARBARA (1930 - 1997)

 

„Ich bin keine Sängerin, ich bin eine singende Frau“


 „Dis, quand reviendras-tu?“

„Une petite cantate“

„Nantes“,

« L´Aigle noir »,

« Göttingen »

« Le temps des lilas »

« Ma plus belle histoire d´amour »

 

«Ich kann mich absolut nicht an die lästige Vergangenheit erinnern“, behauptete sie gern. Die Schriftstellerin Marie Chaix, die von 1965 bis 1970 Barbaras Privatsekretärin war und ein Buch über sie schrieb, kann nicht umhin festzustellen: „Man möchte ihr am liebsten sagen, nun übertreib nicht, du tust nichts anderes als permanent davon zu erzählen“. Zumindest davon zu singen, denn von allen hochkarätigen Autoren, Komponisten und Interpreten des französischen Chansons, das in den 60er Jahren in den Adelstand der Poesie gehoben wurde, ist sie nicht nur fast die einzige Frau, sondern auch die einzige, die nur sehr Persönliches, sehr Intimes singt. «Meine Lieder fußen auf meiner Lebenserfahrung. Sie handeln ausschließlich von Dingen, die ich erlebt habe, die wir alle erlebt haben».

Sie ist nicht intellektuell wie Léo Ferré, ihre Texte sind nicht so ziseliert und ironisch wie die Brassens, sie schreibt nicht so üppig deskriptiv und sarkastisch wie Jacques Brel, sie ist nicht so literarisch wie ihre einzige damalige Konkurrentin Anne Sylvestre.

Barbaras Lieder sind sehr persönlich, stark emotional, authentisch, in einer einfachen Sprache vorgetragen, mit einer Stimme, die manche für die schönste halten, welche das französische Chanson je vorzuweisen hatte.

Den Durchbruch erfährt sie spät mit 34. Barbara wird von da an zur Kultsängerin. Es bildet sich um sie herum eine Treuegemeinde, die ihr mit ja religiösem Eifer überall da folgt, wo sie auftritt, so dass sie Theater von über 2000 Plätzen bis auf den letzten Sitz füllt, ohne Werbung machen zu müssen, denn die Sängerin entzieht sich komplett dem Starsystem. «Diejenigen, die es wissen sollen, werden es wissen, diejenigen die kommen wollen, werden kommen »

Barbara wird ab den 80er Jahren für ihre mit den Jahren immer jünger werdenden Fans zur spirituellen Führerin. Sie selber gestand ihrem Publikum: „Meine größte Liebe seid ihr“. Sie verzichtete gar auf die Liebe eines Mannes und auf eine Familie für die Liebe dieses „tausendarmigen Liebhabers“.

Vor allem aber ließ sie diese Liebe von der Rolle des Opfers in die der Wohltäterin im Dienste der Bedürftigen und der Kranken unserer Gesellschaft gleiten. Das Singen wurde für diese Frau auf der Flucht vor sich selbst nicht nur zur Therapie ihrer tiefen seelischen Wunden, sondern ein Mittel zur Kommunion mit ihren Mitmenschen.

Barbara, die sich als eine Sängerin der Liebe verstand, hat generös Liebe um sich herum gespendet.

Heute noch, mehr als 20 Jahre nach ihrem Tod, bleibt sie eine Referenz des klassischen, anspruchsvollen, literarischen französischen Chansons, das in der Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Blüten trieb......

 

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